"Im Rahmen unserer Versuchsreihen mit dem gebrauchten Einmalmaterial von PAPSTAR konnten wir feststellen, dass sich daraus bei entsprechender Vorbehandlung eine hervorragende Qualität von Pflanzenkohle herstellen lässt", so Böttcher im Interview. Generell spricht sich der 59-Jährige für ein neues Verständnis von Kreislaufwirtschaft und innovative Formen der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Kommunen, Institutionen und Landwirtschaft aus.
Herr Böttcher, Sie begleiten PAPSTAR bei der Konzeption von Kreislaufkonzepten für Einmalprodukte aus nachwachsenden Rohstoffen. Diese werden bis dato nach Gebrauch als Abfall betrachtet und entsorgt. Warum sehen Sie hier einen wesentlichen Handlungsbedarf zu Veränderungen und was braucht es dazu vor allem?
Wir benötigen dringend ein neues, gesamtsystemisches Verständnis von Kreislaufwirtschaft. Zwar hat die Bundesregierung bereits 1994 den ersten Entwurf eines Kreislaufwirtschaftsgesetzes auf den Weg gebracht, was zum damaligen Zeitpunkt in Europa fast als revolutionär wahrgenommen wurde. Allerdings müssen wir heute, also fast 30 Jahre nach der Einführung der Kreislaufwirtschaft in Deutschland, ernüchternd feststellen, dass trotz zahlreicher Novellen des Gesetzes und der den deutschen Bürgern nachgesagten 'Abfalltrennleidenschaft' immer noch keine umfassende Kreislaufwirtschaft vorhanden ist.
Dies können wir uns zukünftig und auch schon heute nicht mehr leisten. So rückt der Weltüberlastungstag, also derjenige Tag im Jahr, an welchem statistisch bereits alle natürlichen Ressourcen für ein ganzes Jahr des betreffenden Landes verbraucht sind, in Deutschland und vielen anderen Industrieländern immer näher an den Jahresbeginn. Trotz dieser sehr ernstzunehmenden planetarischen Grenzen und der zwangsweise damit einhergehenden Ressourcenprobleme produzieren wir weiterhin riesige Mengen Abfall. Und genau deshalb brauchen wir dringend dieses neue Verständnis von Kreislaufwirtschaft!
Warum bedienen wir uns nicht den seit Jahrmillionen funktionierenden Kreislaufsystemen der Natur? Hier gibt es keine Abfälle. Und dennoch ist die Natur nicht etwa sparsam, was man am Beispiel blühender Obstbäume sehen kann, welche sich mit voller Pracht und Energie entfalten. Stattdessen ist die Natur äußerst effektiv. Alles bewegt sich in einem permanenten Kreislauf. Wir brauchen schleunigst eine neue Produkt- und Materialphilosophie, die einerseits weitestgehend auf natürliche beziehungsweise nachwachsende Rohstoffe setzt und zugleich aber auch die zukünftige Verwertbarkeit, also diejenige Nutzung nach der eigentlichen Produkt-Anwendung, im Auge behält. Da die Belastungsgrenze unseres Planeten in vielerlei Hinsicht bereits mehr als ausgeschöpft ist und damit eine umfassende Regeneration der natürlichen Systeme erforderlich wird, sollten wir bei der zukünftigen Verwertbarkeit von 'verbrauchten' Produkten sogar noch weitergehen.
Ziel ist ein sogenanntes 'Upcycling' von Produkten im Sinne eines umfassenden, kreislauforientierten Stoffstrommanagements. Das bedeutet, dass die verbrauchten Produkte im nachfolgenden Nutzungszyklus eine stoffliche oder energetische Aufwertung erfahren, welche uns beispielsweise bei der Regeneration der natürlichen Systeme Klima, Boden, Wasser, Biodiversität behilflich sind.
PAPSTAR trifft mit seiner Produktphilosophie den Kern einer zukunftsweisenden Kreislaufwirtschaft. Die gebrauchten, konsequent aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellten Einmalprodukte eignen sich mit entsprechender Aufbereitungstechnologie hervorragend für ein Recycling - ja sogar für ein Upcycling. Um das zu ermöglichen, bedarf es neben einer Orientierung an modernen, zukunftsweisenden Verwertungsverfahren und Technologien auch der Schaffung von entsprechenden und adäquaten gesetzlichen Grundlagen. Dies ist aus meiner Sicht eine wesentliche Voraussetzung, um einer längst überfälligen, gesamtsystemischen Kreislaufwirtschaft den Weg frei zu machen. Hierbei gibt es einen wesentlichen Erfolgsfaktor, der in der Vergangenheit oft viel zu kurz gekommen ist. Konkret meine ich Kooperationen oder neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Kommunen, Institutionen und Landwirtschaft. Hierbei könnten in den Bereichen Know-how-Austausch, Produktion, Verwertung, Recycling und Upcycling neue Wege eingeschlagen werden. Oft existieren ungeahnte Potenziale oder Synergieeffekte, welche im Sinne einer regionalen Kreislaufwirtschaft genutzt werden können. Ein gutes Beispiel ist die Kooperation zwischen PAPSTAR und der ricion AG.
Wie würden Sie aus Ihrer Sicht die Zusammenarbeit mit PAPSTAR beschreiben und wo liegen die größten Herausforderungen im Rahmen der zukünftigen Erarbeitung von Lösungen?
Die Zusammenarbeit mit PAPSTAR ist etwas ganz Besonderes. Ich persönlich bin von dem ehrlichen, tief verwurzelten Nachhaltigkeitsansatz des Unternehmens beeindruckt. Dabei geht es nicht nur darum, hochwertige recyclebare Einmalprodukte aus nachwachsenden Rohstoffen zu erzeugen und auf den Markt zu bringen. PAPSTAR hat sich im Sinne einer zukunftsweisenden Kreislaufwirtschaft deutlich höhere Ziele gesetzt und möchte diese nun konsequent und transparent zur Umsetzung bringen. Dazu gesellt sich eine ausgeprägte Innovationsbereitschaft und Beharrlichkeit, welche auf der Suche nach neuen nachhaltigen Lösungen erforderlich sind.
Als ich selbst das erste Mal den Firmenstandort in Kall besuchen durfte, war ich sehr positiv überrascht, wie tief sich das Unternehmen bereits in die Thematik der Stoffstromaufbereitung für das Einmalmaterial eingearbeitet hatte. Es wurden geeignete Aufbereitungstechnologien recherchiert und monatelange Versuchsreihen am Standort durchgeführt. Die sich anschließende intensive Zusammenarbeit, in deren Rahmen wir weitere Versuchsreihen und eine Konzeptstudie zur Inwertsetzung der gebrauchten Einmalmaterialien arrangieren durften, gestaltete sich äußerst konstruktiv und zielführend.
Von Anfang an war zu spüren, dass die Geschäftsführung und alle Mitarbeiter, mit denen wir im Rahmen der Zusammenarbeit zu tun hatten und haben, mit Herzblut und voller Überzeugung hinter dem Nachhaltigkeitsansatz des Unternehmens stehen. Ihre Frage nach den größten Herausforderungen zur Erarbeitung von Zukunftslösungen finde ich deswegen so spannend, weil ich selbst seit über 30 Jahren damit beschäftigt bin. Ich war und bin maßgeblich an der Entwicklung von Schlüsseltechnologien im Bereich einer gesamtsystemischen Kreislaufwirtschaft - zum Beispiel in der Siedlungswasserwirtschaft - tätig. Dabei hat mich immer wieder erstaunt, welche unerwarteten Widerstände und Hürden plötzlich auf uns zukamen, obwohl sich ein Konzept oder Verfahren bereits wissenschaftlich und praktisch bewährt hatte. Eine der größten Herausforderungen ist daher nach meinen Erfahrungen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen mit den bereits gebotenen Möglichkeiten in Einklang zu bringen.
Nur wenn dies sichergestellt ist, werden wir die notwendigen zukunftsweisenden Innovationen in der Kreislaufwirtschaft ausreichend beschleunigen. Zusätzlich brauchen wir gezieltere Förderwege, um mutigen Pionierunternehmen oder Unternehmenskooperationen, die die Bereitschaft und Beharrlichkeit für umfassende Veränderungsprojekte aufbringen, den Weg in die kreislaufwirtschaftliche Zukunft zu ebnen.
Sie beschäftigen sich mit PAPSTAR unter anderem mit der Thematik "Pflanzenkohle aus Biomasse": Warum sehen Sie hier einen vielversprechenden Ansatz im Rahmen einer stofflichen Verwertung für die Produkte von PAPSTAR?
Ich beschäftige mich seit 2005 mit 'Terra Preta', einer der weltweit fruchtbarsten von Menschen hergestellten Böden. Eine vergangene Hochkultur der Indios hatte diese schwarzen Böden mit ihren außergewöhnlichen Eigenschaften auf großen Flächen des Amazonasgebiets hinterlassen. Heute wissen wir, dass 'Terra Preta' aus Pflanzenkohle und organischen Siedlungsabfällen hergestellt wurde. Die außerordentliche Fruchtbarkeit basiert auf der Kombination von Pflanzenkohle und einem speziellen biologischen Verfahren, welches allerdings nicht mit der klassischen Kompostierung zu vergleichen ist.
Aus heutiger Sicht sind zwei Aspekte besonders spannend: Erstens erzeugte die Hochkultur der Indios trotz großer Bevölkerungsdichte in den Siedlungsgebieten mit über 20 Millionen Menschen keine Abfälle, sondern sie lebte bereits eine zukunftsweisende Kreislaufwirtschaft mit Upgrading und Regeneration der Böden. Zweitens ist es genau das oben beschriebene Verfahren, mit dem wir heute weltweit vielen drängenden Problemen, wie Bodendegradation, Ernährungsengpässe, Biodiversitätsverluste, Gewässerverschmutzung und Klimakrise aktiv entgegentreten können.
Im Rahmen unserer Versuchsreihen mit dem gebrauchten Einmalmaterial von PAPSTAR konnten wir feststellen, dass sich daraus bei entsprechender Vorbehandlung eine hervorragende Qualität von Pflanzenkohle herstellen lässt. Aus aktuellem Anlass ist besonders hervorzuheben, dass bei der Anwendung von geeigneten Karbonisierungsverfahren neben der Pflanzenkohle zusätzlich Energie in Form von Wärme oder sogar Synthesegas gewonnen werden kann. Gerade in Bezug auf unser Thema 'zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft' ist die Verwertung des gebrauchten Einmalmaterials zur Herstellung von Pflanzenkohle absolut genial, da sich hier mehrere Synergien ergeben. Zum einem läuft der exotherme Karbonisierungsprozess unter Luftabschluss bei Temperaturen zwischen 600 bis 800° Celsius ab, sodass eine vollständige Hygienisierung des Einmalmaterials mehr als sichergestellt ist. Zum anderen werden rund 50 Prozent des Eingangsmaterials zu Pflanzenkohle konvertiert, welche aus über 90 Prozent Kohlenstoff besteht und über mehrere Jahrhunderte haltbar ist. Die anderen 50 Prozent werden im Prozess zu Biogas gewandelt, welches Wärme für den eigenen Prozess sowie für zusätzliche Wärmebedarfe generiert. Dadurch, dass die Hälfte der Inputbiomasse in stabilen Kohlenstoff mit besonderen Eigenschaften verwandelt wird, ist das Karbonisierungsverfahren mit Einmalmaterial explizit als 'klimapositiv' zu bezeichnen, während eine sonst übliche Abfallverbrennung den in der Biomasse enthaltenen Kohlenstoff wieder vollständig als CO2 freigesetzt hätte.
Aus der gewonnenen Pflanzenkohle können im nächsten Schritt hochwertige Bodensubstrate für Landwirtschaft und Gartenbau hergestellt werden. Dadurch wird in der Landwirtschaft der Humusaufbau effektiv gefördert, während die bekannten negativen Auswirkungen der Anwendung von Wirtschaftsdüngern wie Nitrat-Auswaschung oder Lachgasemissionen signifikant reduziert werden. Substrate auf Pflanzenkohle-Basis erhöhen die Wasserspeicherkapazität von landwirtschaftlichen Böden, was gerade in Zeiten längerer Dürreperioden dringend benötigt wird. Im Gartenbau kann der Einsatz von Pflanzenkohle den Torfeinsatz deutlich reduzieren. Damit sind sowohl in der Landwirtschaft als auch im Gartenbau zusätzliche klimaschonende Auswirkungen des Pflanzenkohleeinsatzes zu verzeichnen.
Abschließend möchte ich mich bei den Verantwortlichen von PAPSTAR für ihre Entschlossenheit und die konsequente Umsetzung der gesteckten Nachhaltigkeitsziele auf dem Weg hin zu einer zukunftsweisenden Kreislaufwirtschaft bedanken. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit.
Das Interview führte Andreas Köller.
- erschienen im Nachhaltigkeitsbericht 2022 der PAPSTAR GmbH (www.papstar-storyteller.de/nachhaltigkeitsbericht-2022)
Zur Person
Joachim Böttcher ist Gründungsaktionär und technischer Vorstand der ricion AG (Regeneration in Cycles is our Nature) sowie internationaler Experte, unter anderem als Dozent an der Libera Università Maria Ss. Assunta mit Sitz in Rom, für regionales Stoffstrommanagement mit den Schwerpunkten Wasserwirtschaft, Pflanzenkohle und Terra Preta sowie regenerative Landwirtschaft/Landnutzung.